Samstag, 25. Januar 2025

 Predigt über Johannes 4,5-14

 "Ein unmögliches Gespräch"


Stellen Sie sich vor, Sie oder Du bist zu Hause und dein Nachbar, den du nur flüchtig kennst, spricht dich an, vielleicht an der Mülltonne. Er sagt: Ich hab neulich gehört, dass Sie in die Kirche gehen. Glauben Sie wirklich, dass Gott heute noch einen Unterschied machen kann?“
Die Frage bringt dich ins Nachdenken – und eröffnet vielleicht ein Gespräch.

Oder wir beobachten eine Szene: Vielleicht ein Anzugträger auf der Straße, der plötzlich einen Obdachlosen fragt: "Wie sieht Ihr eigentlich Leben aus?"

Oder: Ihr kommt an einem Sonntagmorgen zur Kirche, und am Eingang steht ein Hilfebedürftiger, der die selbst hergestellten Zeitungen anbieten. Vielleicht sind Sie, bist Du im ersten Moment irritiert. "Was macht die/der hier?" denkst du. "Das passt doch hier nicht hin. Das gehört sich doch nicht."

Aber genau so beginnt die Geschichte von Jesus und der Frau am Jakobsbrunnen. Ein unmögliches Gespräch.

 Ein Mann spricht eine Frau an,  ein Jude spricht mit einer Samariterin, ein Lehrer der Heiligen Schriften bittet um Wasser. Es ist ein Zusammenprall von Welten, der uns herausfordert: Was sind unsere eigenen Grenzen? Wo sagen wir: "Das gehört sich nicht"? 

 eben: Ein unmögliches Gespräch.


Der Ort: Jakobsbrunnen

Der Text beginnt mit einem Hinweis auf den Ort: den Jakobsbrunnen. Jesus ist müde, durstig und setzt sich an diesen historischen Ort. Der Brunnen symbolisiert die Verbindung zu den Erzvätern. Aber dieser Ort ist mehr als Geschichte. Es ist ein neutraler Raum, ein Platz, an dem Begegnung möglich wird.  In meinem Bild sitzen verschiedene Menschen um den Brunnen mit unterschiedlichen Kleidungstilen, die ihre Verschiedenheit zeigen.

Auch heute gibt es solche Orte: Bushaltestellen, Parks, Cafés, vielleicht in Zukunft auch ein ökumenisches Kirchen-Café  -  wer weiß… Orte, an denen wir uns mit Menschen treffen können, die anders sind als wir. Die Frage ist: Nutzen wir diese Gelegenheiten? Oder bleiben wir in unseren eigenen Kreisen?


Jesus bittet um Wasser

Jesus bricht mit Konventionen. Er spricht die Frau direkt an: "Gib mir zu trinken." Diese einfache Bitte öffnet ein Gespräch, das ihre Sichtweise auf das Leben vollkommen verändert.

Manchmal braucht es nur eine kleine Geste, um eine Beziehung zu beginnen. Eine Frage, eine Bitte um Hilfe. Aber es braucht Mut. Jesus zeigt diesen Mut, und er fordert auch uns heraus: Haben wir den Mut, Menschen anzusprechen, die wir vielleicht nicht verstehen oder sogar meiden?

Wo brauchen wir heute Mut? Denken wir an die Unterstützung von Migranten, die oft mit Vorurteilen zu kämpfen haben. Oder an den Einsatz gegen rechtsradikale Parteien, die versuchen, Hass und Ausgrenzung zu säen. Haben wir den Mut, unseren Mund aufzumachen, wenn Ungerechtigkeit geschieht? Haben wir den Mut, jemanden zu verteidigen, den andere verurteilen? Jesus fordert uns heraus, dort Mut zu zeigen, wo es unbequem wird.


Gottes Liebe kennt keine Grenzen  

Wie faszinierend ist es, wenn Christen aller Welt zusammentreffen: Menschen aus Korea und Nicaragua, Tansania und ganz Europa, die sich zu Jesus Christus bekennen. In knapp 2.500 Sprachen ist die Bibel heute übersetzt.

Die christliche Botschaft macht nicht vor Volks- und Landesgrenzen Halt. Sie gilt ausnahmslos allen Menschen. Bereits Jesus und seine Jünger haben sich den Nachbarn des Volkes Israel zugewandt, haben Ausländer geheilt und mit Samaritanern debattiert. Auch Jesu Ahnen sind international, wie die Moabiterin Rut, die mit ihrer Schwiegermutter in ein fremdes Land zog und ihre Religion annahm. Gottes Liebe kennt keine Grenzen – bezeugen die Apostel und Propheten. So wird auch das Reich Gottes bunt und vielsprachig sein. "Es werden kommen von Osten und von Westen, von Norden und von Süden, die zu Tisch sitzen werden im Reich Gottes."


Die Frau: Wer bin ich?

Die Samariterin ist überrascht und fast ein wenig irritiert. "Wie kannst du als Jude mich, eine Samariterin, um etwas zu trinken bitten?" Ihr Tonfall verrät Erstaunen und Vorsicht zugleich. Sie weiß genau, wie tief die Gräben zwischen Juden und Samaritern sind. Seit Generationen gibt es Spannungen und Vorurteile zwischen ihren Völkern. Und jetzt steht dieser fremde Mann vor ihr, ein Jude, und spricht sie an. Warum? Was will er von ihr?

Vielleicht ist da auch ein Funke Misstrauen. Schließlich ist sie nicht nur Samariterin, sondern auch eine Frau, und in dieser Gesellschaft wird sie oft genug übersehen, missverstanden, ja vielleicht sogar gemieden. Menschen wie sie werden in Gesprächen nicht ernst genommen. Ihre Vergangenheit, die Brüche und Schwierigkeiten in ihrem Leben, lassen sie vermutlich oft denken: "Wer bin ich schon? Was kann ich schon geben?"

Und doch spricht Jesus sie an – nicht, um sie zu belehren oder zu verurteilen, sondern mit einer einfachen Bitte: "Gib mir zu trinken."

Haben wir nicht manchmal ähnliche Gedanken? Vielleicht kennen wir das Gefühl, dass wir nicht gut genug sind, nicht wichtig genug, nicht "religiös genug". Dass wir denken: "Was kann ich Gott schon geben? Warum sollte Gott sich für mich interessieren?"

Doch genau hier liegt der entscheidende Punkt: Jesus sieht nicht, was die Frau in den Augen der Gesellschaft ist. Er sieht sie in ihrer Ganzheit. Ihre Geschichte, ihre Brüche, ihre Zweifel – all das schließt sie nicht aus, sondern macht sie zu der Person, die sie ist. Und genau diese Frau lädt er ein, das lebendige Wasser zu empfangen.

Das ist die Einladung Gottes an uns alle. Er fragt nicht: "Was kannst du mir geben?" Er fragt: "Bist du bereit, zu mir zu kommen, so wie du bist?"

 


Das lebendige Wasser

Jesus antwortet: "Wer von diesem Wasser trinkt, wird wieder Durst haben; wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm gebe, wird niemals mehr Durst haben." Hier wechselt Jesus die Ebene. Es geht nicht mehr nur um das Wasser im Brunnen, sondern um das lebendige Wasser: das Leben, das Gott uns schenkt.

Das Bild vom lebendigen Wasser ist kraftvoll und doch herausfordernd. Über Jahrtausende hinweg bewegt uns Menschen die Sehnsucht nach einem Wasser, das nicht versiegt – ein Wasser, das nicht nur den Durst des Körpers stillt, sondern den Durst der Seele. Es ist die Sehnsucht nach einem Leben in Fülle, nach einem Zustand, in dem Krankheit, Leid und Ausweglosigkeit keine Macht mehr über uns haben. Dieses lebendige Wasser steht für Gottes lebensspendende Kraft, die uns erfüllt, erfrischt und verwandelt.

Denken wir an Momente, in denen wir uns "ausgetrocknet" fühlten: erschöpft, leer, ohne Hoffnung. Was für eine Verheißung, dass Gottes Geist wie eine sprudelnde Quelle in uns sein kann! Dieses Wasser schenkt neue Perspektiven, Kraft und eine unerschütterliche Freude, die von äußeren Umständen unabhängig ist. Es ist der große Menschheitstraum: ein Leben ohne Mangel, voller Erfüllung und unvergänglicher Lebenskraft. Jesus lädt uns ein, diesen Traum in der Gemeinschaft mit Gott Wirklichkeit werden zu lassen.

Wo finde ich das lebendige Wasser?

Die Frau am Jakobsbrunnen hat sich sicherlich Ähnliches gefragt: Woher kommt dieses Wasser, das nie versiegt? Wie soll das gehen, ein Wasser, das meinen Durst auf ewig stillt? Auch wir stellen uns diese Fragen. Wir haben Durst nach einem erfüllten Leben, nach Liebe, nach Frieden. Aber oft suchen wir die Erfüllung an Orten, die uns nur kurzzeitig erfrischen – sei es in Erfolg, Konsum oder Anerkennung. Doch das ist kein lebendiges Wasser. Es löscht unseren Durst nicht wirklich.

Jesus zeigt uns eine andere Quelle. Dieses lebendige Wasser ist kein physisches Wasser, sondern eine Beziehung zu Gott, die alles in unserem Leben verändert. Es ist Gottes Geist, der in uns wohnt, der uns Kraft gibt, wenn wir schwach sind, und Trost, wenn wir verzweifelt sind. Es ist die Erfahrung, dass Gott uns liebt und uns mit Sinn erfüllt – eine Liebe, die nichts und niemand zerstören kann.

Aber das bedeutet nicht, dass wir auf einmal keine Probleme oder Herausforderungen mehr haben. Das Wasser, das Jesus gibt, fließt oft gerade durch die Wüsten unseres Lebens: durch schwierige Zeiten, durch Zweifel und durch die Frage, wo Gott ist, wenn wir ihn am meisten brauchen. Doch genau dort zeigt sich die Kraft dieses lebendigen Wassers. Es geht nicht um ein Leben ohne Durst, sondern darum, dass wir eine Quelle haben, die uns immer wieder neues Leben schenkt – mitten in der Realität unseres Alltags.



Die Einladung

Die Frau am Brunnen ist nicht perfekt. Ihre Vergangenheit ist gezeichnet von gebrochenen Beziehungen. Aber Jesus lädt sie trotzdem ein, dieses lebendige Wasser zu empfangen. Er sieht sie nicht nur, wie sie ist, sondern wie sie durch Gottes Liebe sein kann.

Diese Einladung gilt uns allen. Gott wartet auf uns, selbst wenn wir uns unwürdig fühlen. Er möchte, dass wir zu ihm kommen, mit all unserem Durst nach Liebe, Sinn und Leben.


Herausforderung für uns

Am Ende der Geschichte wird klar, dass diese Begegnung nicht nur die Frau verändert hat. Sie wird zur Botschafterin, die ihr Dorf einlädt: "Kommt und seht!" Die Einladung, die sie empfangen hat, gibt sie weiter.

Auch wir sind eingeladen, diesen Durst nach Gott in unserem Leben zu stillen und diese Freude weiterzugeben. Wo können wir Menschen in unserer Umgebung "lebendiges Wasser" anbieten? Wo können wir Mut fassen und sagen: "Kommt und seht"?

Die Frage: "Was muss ich tun, damit ich das lebendige Wasser finde, das ich das ewige Leben erlange?", hat Menschen in biblischen Zeiten bewegt, Jesus zu suchen. Sie bewegt auch uns heute – innerhalb und außerhalb unserer Kirchen und Gemeinden. Was müssen wir tun, damit wir Gottes Schöpfung nicht zerstören und unser gefährdetes Leben in Gottes Ewigkeit bewahrt bleibt?

Drei theologische Schwerpunkte können uns dabei helfen, die Erzählung aus dem Johannesevangelium zu verstehen:

1.  Jesus durchbricht Barrieren: In dieser Geschichte überwindet Jesus die Grenzen zwischen Mann und Frau sowie die Feindschaft zwischen Juden und Samaritern. Er zeigt uns, dass Gottes Liebe keine Mauern kennt.

2.  Ein tiefes Verstehen: Ein distanziertes und oberflächliches Hören der Worte Jesu kann unseren Durst nach einem gelingenden und gesegneten Leben nicht löschen. Verstehen und Verständnis können nur wachsen, wenn wir uns mit unserer ganzen Person auf Gottes lebendiges Wort einlassen.

3.  Das Wasser des Lebens: In biblischer und kirchlicher Tradition steht Wasser für Erneuerung, Wiedergeburt und Umkehr zu einem unvergänglichen Leben. Es ist ein Symbol für Gottes lebensspendende Kraft, die in uns zu einer Quelle wird, die uns mit der Ewigkeit verbindet.

Welch wunderbares, kraftvolles und heilsames Bild: Der Gottessohn Jesus Christus bietet uns lebendiges Wasser an, das uns nicht nur erfrischt, sondern unser Leben von Grund auf erneuert. Die Einladung ist klar: Lassen wir uns von diesem lebendigen Wasser erfüllen und teilen wir es mit anderen.


Schlussgedanke

Die Geschichte von der Frau am Jakobsbrunnen ist eine Einladung, unsere Grenzen zu überwinden. Es ist eine Einladung, Mut zu zeigen, uns von Gottes lebendigem Wasser erfüllen zu lassen und diese Liebe mit anderen zu teilen.

Amen

Segen:

Der Herr, der uns am Brunnen des Lebens begegnet,
erfülle eure Herzen mit seinem lebendigen Wasser,
das euren Durst nach Liebe, Hoffnung und Frieden stillt.

Der Gott, der Grenzen überwindet,
stärke euch, damit auch ihr mutig Brücken baut,
wo Menschen getrennt sind, und seine Liebe sichtbar macht.

Und der Heilige Geist, der wie eine Quelle in euch sprudelt,
gebe euch die Kraft, ein Segen zu sein für andere,
heute, morgen und an allen Tagen eures Lebens.

So segne euch der dreieinige Gott,
der Vater, der Sohn und der Heilige Geist.
Amen.

 

 

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